Exklusive Dokumente zeigen: Erdogan lässt weiter Kritiker in Deutschland ausspionieren

Von: Erkan Pehlivan

Feature Türkei - Erdogans langer Arm Türkische Spione in Deutschland? (aufgenommen in der ZDF-Talkshow maybrit illner am 30.03.2017 in Berlin)/SymbolfotoErneut werden Regimegegner durch den türkischen Geheimdienst in Deutschland ausspioniert ©  Müller-Stauffenberg/IMAGO

Der türkische Geheimdienst MIT späht Türkeistämmige in Deutschland aus. In einem Fall ist das türkische Generalkonsulat in Düsseldorf beteiligt.

Grevenbroich – Es ist ein Skandal, der Parallelen zu den Vorkommnissen nach dem Putschversuch 2016 in der Türkei hat. Damals waren es vor allem Imame in den Moscheen der „Ditib“, die Informationen für den türkischen Geheimdienst MIT über mutmaßliche Anhänger:innen der Gülen-Bewegung gesammelt hatten. Fr.de von IPPEN.Media ist jetzt auf einen ähnlichen Spionagefall in Deutschland gestoßen, in den auch das türkische Generalkonsulat in Düsseldorf involviert ist. Die türkische Auslandsvertretung hat demnach Informationen von einem ehemaligen Mitarbeiter einer Security Firma bekommen, der in einer Geflüchtetenunterkunft als Sicherheitsmitarbeiter im nordrhein-westfälischen Grevenbroich gearbeitet haben soll, berichtet fr.de.

Das geht aus als „geheim“ (Türkisch: gizli) eingestuften Unterlagen des türkischen Außenministeriums an das Innenministerium vor. Dort sind auch die Namen von sieben Männern und einer Frau aufgelistet. „In den an uns geschickten Unterlagen von unserem Generalkonsulat in Düsseldorf unter Bezug auf ein Gespräch mit unserem Bürger A. geht hervor, dass dieser die Namen von Personen bekannt geben möchte, die Verbindungen zu FETÖ haben“, heißt es darin. Das Dokument liegt unserer Redaktion vor. „FETÖ“ steht für „Fethullah´sche Terrororganisation“. Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte nach dem Putschversuch die Bewegung um den islamischen Prediger Fethullah Gülen für den Umsturzversuch verantwortlich gemacht und diese als Terrororganisation eingestuft.

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Mitarbeiter von Security-Firma späht Schutzsuchende aus Türkei aus

Der Türke A. habe dem Dokument zufolge die Personen, denen er Verbindungen zur FETÖ vorwirft, nicht nur in Grevenbroich, sondern auch in Rommerskirchen und Dormagen ausfindig gemacht. Neben den türkischen Personalausweisnummern sind auch Adressen und teilweise die Telefonnummern der ausgespähten Personen aufgeführt.

Der Bericht des türkischen Generalkonsulats wurde an die Antiterror-Polizei „TEM“ weitergeleitet, die zu den ausgespähten Personen auch einen Bericht verfasst. Dieser ist als „geheim eingestuft“ und liegt unserer Redaktion vor. Die TEM schreibt darin, dass sie unter anderem die Daten auch mit anderen Polizeiabteilung abgeglichen habe.

Besagte Person A. wollte auf Nachfrage keine Stellungnahme zu den Dokumenten oder der Angelegenheit selbst geben.

MIT nutzt Türkeistämmige in Deutschland aus

„Es könnte durchaus möglich sein, dass Mitarbeiter des türkischen Geheimdienstes MIT, die in den türkischen Generalkonsulaten aktiv sind, Leute wie A. ausnutzen. So scheint es, dass einige Namen zumindest schon vorher vom MIT herausgefunden und auf die Liste gesetzt wurden“, vermutet Dr. Yasar Demircioglu, türkischer Verfassungsrechtler und Rechtsberater bei der Menschenrechtsorganisation „Human Rights Defenders“. Demircioglu war wie viele andere Wissenschaftler:innen nach dem Putschversuch in der Türkei 2016 nach Deutschland geflüchtet. Ehemalige türkische Diplomaten bestätigten in der Vergangenheit, dass in den türkischen Auslandsvertretungen Personal des MIT sitzt, um Informationen über Regierungskritiker zu sammeln.

Immer wieder hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in der Vergangenheit vor den Aktivitäten des türkischen Geheimdienstes MIT gewarnt. „Das Aufklärungsinteresse türkischer Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in Deutschland gilt grundsätzlich allen Organisationen und Einzelpersonen, die in tatsächlicher oder mutmaßlicher Opposition zur gegenwärtigen türkischen Regierung stehen. Ihre vorrangigen Ziele sind die „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) und die Gülen-Bewegung“, schreibt das BfV in seinem Bericht von 2021.

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Betroffener stellt Strafanzeige wegen Spionage

Mindestens einer der Betroffenen hat bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf Strafanzeige wegen der Ausspähung gestellt. Darin wirft er A. und Beamten des türkischen Generalkonsulats Düsseldorfs Geheimdienstliche Agententätigkeit (§ 99 StGB) und Politische Verdächtigung (§ 241a StGB) vor. Zudem unterstellt der Kläger der Türkei, mit dem Ausspähen von Erdogan-Kritikern in Deutschland gegen das sogenannten „Übereinkommen der Vereinten Nationen von 1961 über diplomatische Beziehungen“ verstoßen zu haben.

Die Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Vorsitzende der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe, Gökay Akbulut (Linke), zeigt sich im Gespräch mit unserer Redaktion empört über den Fall. „Wenn es zutrifft, dass ein Security-Mitarbeiter in Flüchtlingsunterkünften Oppositionelle aus der Türkei bespitzelt und türkischen Auslandsvertretungen zuarbeitet, wäre das ein ungeheuerlicher Vorgang. Die Bundesregierung muss diesen Hinweisen nachgehen und der türkischen Regierung klare Grenzen setzen“. Akbulut fordert ein Eingreifen durch Justiz und Sicherheitsbehörden. „Es kann nicht sein, dass Geflüchtete aus der Türkei selbst hier nicht vor dem langen Arm Erdogans sicher sind. Daher müssen sämtliche Spitzel-Aktivitäten für die Türkei unterbunden und die Täter strafrechtlich belangt werden.“

AKP-Abgeordneter: Vernichtung von Kurden und Gülen-Anhängern

Der Vorfall kommt nicht überraschend. Erst kürzlich hatte der AKP-Abgeordnete Mustafa Acikgöz in seiner Hetzrede in einer Neusser Moschee der „Grauen Wölfe“ gesagt, egal wohin sie in der Welt flüchteten, die Anhänger der PKK und Gülen-Bewegung würden vernichtet werden. Man wolle sie aus den Löchern, in die sie sich verkrochen haben, herausziehen. Der Fall hatte zu einem diplomatischen Disput geführt. Der türkische Botschafter wurden deswegen ins Auswärtige Amt zitiert. Hass und Hetzreden hätten in Deutschland nichts verloren, teilte man dort dem Vertreter der Türkei mit. (Erkan Pehlivan)

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