Veröffentlicht am 24.10.2022
Was geht in Köpfen von Politikern vor sich? Zum Beispiel dann, wenn Redner des anderen Lagers sie öffentlich in der Luft zerfetzen? Diese Frage diskutierte jüngst die achte Klasse eines Kölner Gymnasiums, nachdem sie im Landtag einer Debatte gelauscht hatte. Leider behalten die Betroffenen ihr Insider-Wissen meist für sich.
Gleichwohl versuchte der Lehrer der Klasse es – und schrieb dem Mann, der an diesem Tag lustvoll die verbale Keule geschwungen hatte: SPD-Oppositionsführer Thomas Kutschaty. Der nahm sich Zeit, die Fragen der Schulklasse zu beantworten (Brief liegt WELT AM SONNTAG vor) – und gestattete damit einen seltenen Einblick.
Zum einen wurde Kutschaty gefragt, wie er es fand, dass Hendrik Wüst (CDU) bei seiner Rede nicht zu ihm schaute, sondern sich in Handy und Aktenordner vertiefte. Kutschaty, derzeit Oppositionsführer, zuvor sieben Jahre Justizminister, antwortete, er wisse natürlich nicht, was Wüst in dem Moment durch den Kopf ging.
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Aber: „Ich weiß, dass viele Politikerinnen und Politiker, inklusive Regierungsmitglieder, Kritik genauso schlecht aushalten wie die meisten Menschen. Kritik möchte man eigentlich nicht hören, und schon gar nicht möchte man „uncool“, betreten oder beschämt aussehen, während man kritisiert wird (die Regierungsmitglieder werden ja permanent fotografiert und gefilmt; Bilder sind in der Mediendemokratie wichtig). Was also tun? Man kann der Kritik demonstrativ standhalten, man kann demonstrativ mit dem Kopf schütteln oder schmunzeln. Oder man schaut weg und tut so, als sei die Kritik völlig unwichtig und gar nicht interessant. Dann entstehen zumindest keine Bilder, auf denen das Regierungsmitglied irgendwie bedröppelt aussieht. Auf Handys starren oder in Akten blättern ist im Grunde eine Art Verstecken. Wenn ich sehe, dass sich Mitglieder der Regierungsfraktionen während meiner Rede hinter ihren Handys verstecken, weiß ich: Das hören die jetzt nicht gerne. Du liegst mit deiner Kritik goldrichtig.“
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Zum anderen teilte der Lehrer Kutschaty mit, seine Klasse habe sich gewundert, dass Kutschaty Entscheidungen Wüsts ziemlich harsch als „dumm“ bezeichnete. Warum? Darauf erwiderte der Genosse, Demokratie lebe „vom Wettstreit zwischen Regierung und Opposition. Manchmal geht es auch polemisch zu. Polemik ist wie Salz auf Pommes: Ohne Salz sind sie zu fade, zu viel schmeckt auch nicht. Manchmal bekommt man nur durch etwas Polemik Aufmerksamkeit. Was für mich gar nicht geht, sind Beleidigungen. Ich würde niemals behaupten, dass Hendrik Wüst dumm ist. Das ist er nämlich nicht. Aber manchmal machen auch kluge Menschen dumme Sachen.“
Nicht nur Psychologen dürften Kutschaty danken für diese Einblicke ins Seelenleben attackierender und attackierter Politiker.
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