Henning Höne (FDP): „Wohlstand Deutschlands droht auf das Niveau von 1970 abzusinken“

Veröffentlicht am 21.11.2022 _A3A0313_till_stoldt_wams_nrw_mo.jpg Politik-Redakteur Henning Höne (FDP), Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion im NRW-Landtag Quelle: picture alliance/dpa/Jonas Güttler Henning Höne gilt als Hoffnungsträger der FDP. Einer liberalen Wende nach links oder rechts erteilt er eine Absage, Inspiration holt er sich auch bei Libertären. Und an seine Partei glaubt er als Retterin deutschen Wohlstands. Anzeige Anzeige

Ratschläge prasseln auf die FDP nur so nieder – seit sie bei allen vier Landtagswahlen 2022 dramatische Niederlagen einfuhr. Die einen empfehlen eine sozialliberale Renaissance, andere sehen die FDP als bessere AfD. Eine andere Strategie hat Henning Höne im Auge. Der Kopf der FDP-Landtagsfraktion und kommende starke Mann der FDP im Westen glaubt, eine Route in eine bessere Zukunft gefunden zu haben. Zunächst fürs Land. Damit aber auch für seine Partei.

Anzeige

WELT: Herr Höne, Wissenschaftler wie der CDU-nahe Andreas Rödder raten der FDP, die „rechte bürgerliche Mitte“ stärker anzusprechen, um Wähler zu gewinnen.

Henning Höne: Ach ja, die Diskussion ist mindestens zehn Jahre alt.

Anzeige

WELT: Auch der rot-grüne Politologe Franz Walter empfahl Ihnen das bereits 2010.

ANZEIGE Immobilie bewerten: Kölner Experten beraten Sie

Höne: Auffällig ist doch: Solche Ratschläge kommen fast immer von Leuten, die die FDP nie wählen würden.

WELT: Aber bei den Wahlen in Niedersachsen und NRW verlor die FDP mehr Stimmen an CDU und – in Niedersachsen – AfD als an SPD und Grüne.

Anzeige

Höne: Die Wahlergebnisse sind nicht immer so eindeutig. Bei der Wahl 2017 in NRW haben wir von der SPD weit mehr gewonnen als von der CDU.

WELT: Also kein Rechtskurs mit Ihnen?

Höne: Was uns einzigartig macht, ist unsere Positionierung quer zu dem veralteten Rechts-Links-Schema. Wir Freie Demokraten verbinden eine optimistische Lebenseinstellung des Leben-und-leben-Lassens mit dem Versprechen eines funktionierenden Staats und dem Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft.

Lesen Sie auch Wahlwiederholung Wenn doch Berlin endlich mal wieder hell leuchten könnte Anzeige Anzeige

WELT: Jüngst forderte die FDP im Bundestag, die Grünen sollten der Legalisierung von Leihmutterschaft und Mehrelternschaft zustimmen. Ist das die Lebenseinstellung, die Sie meinen?

Höne: Das nicht, aber damit sind mehrere komplexe Fragen verbunden. Ich verstehe die Motive der Parteifreunde. Leihmutterschaft als Geschäftsmodell lehne ich aber ab, das ist zu wenig vom Kind und zu stark vom Kinderwunsch der Eltern her gedacht.

WELT: Was meinen Sie dann mit optimistischer Einstellung und funktionierendem Staat?

Höne: Hier in NRW haben wir das bis 2022 zum Beispiel in der Zuwanderungspolitik vorgelebt. Da haben wir mit Joachim Stamp als Integrationsminister den Rechtsrahmen voll ausgeschöpft, um Gefährder und schwere Straftäter konsequenter als unter Rot-Grün abzuschieben. Zugleich haben wir dafür gekämpft, gut integrierten Zugewanderten schneller ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht einzuräumen, als es der CDU recht war.

WELT: Als Garant florierender Wirtschaft gilt die FDP derzeit kaum. Taugen Ihre wirtschaftspolitischen Positionen noch, um Wähler anzusprechen?

Höne: Mehr denn je! Die Sorge um Standortattraktivität und Wettbewerbsfähigkeit ist eine der ganz großen Fragen der Zeit.

Lesen Sie auch Wahlwiederholung in Berlin Ein beispielloser Gerichtsentscheid – der Giffey gefährlich werden kann Anzeige Anzeige

WELT: Wie glaubwürdig ist es, wenn Sie Rekordschulden ablehnen, während Parteifreund Lindner als Bundesfinanzminister Rekordschulden aufnimmt?

Höne: Zum einen: Die 100-Milliarden Euro Schulden zur Stärkung der Bundeswehr sind nötig, um unsere Freiheit zu schützen. Zum anderen: Die FDP ist im Bund Teil einer Koalition, da kann sie nicht FDP pur durchsetzen.

WELT: Aber Sie können das. Welches halten Sie für das Thema der Liberalen?

Höne: Der Wohlstand Deutschlands droht auf das Niveau von 1970 abzusinken. Angesichts einer komplett implodierenden Energiewende müssen wir uns fragen: Wird es in zehn Jahren noch jemanden geben, der hier produzieren und sein Produkt international verkaufen wird? Darauf müssen wir antworten.

WELT: Und wie?

Höne: Zunächst muss man sich den Ernst der Lage klarmachen: Etliche Konzerne, von Lanxess bis BASF, erklären, sie würden aktuell überall, nur nicht in Deutschland investieren. Auch unser Mittelstand ist unter Druck. Viele Beobachter warnen, unser Land könnte bald CO₂-neutral, aber arm sein.

WELT: Diese Erkenntnis ist Teil der Lösung?

Anzeige Anzeige

Höne: Sie ist ein erster Schritt, weil hierzulande eine Art Überheblichkeit, eine satte Selbstzufriedenheit herrscht, die diese Gefahren ausblendet.

WELT: Die Gefahren der Energiewende?

Höne: Wir haben uns alle Energiequellen zugeschüttet bis auf russisches Gas – und das wurde uns abgedreht. Gerade die Lage von NRW, des energieintensivsten deutschen Standorts, ist dramatisch angesichts der Energiepreise. Das Geschäftsmodell Deutschland steht massiv unter Druck.

WELT: Sie wollen die Energiewende de facto aussetzen?

Höne: Nein, aber wir müssen vorübergehend jede verfügbare heimische Energiequelle nutzen.

Lesen Sie auch Alternative Energieträger Die Zukunft heißt Wasserstoff – und Deutschland verschläft sie

Anzeige

WELT: Auch das hier verbotene Fracking mit Tiefbohrung und Chemie-Einsatz?

Höne: Auch das. Derzeit importieren wir Schiefergas aus den USA und zahlen dafür viel mehr als wir ausgäben, wenn wir es bei uns fördern würden. Außerdem müssen wir Pipelines in die Benelux-Länder verlängern, damit wir von dort Gas erhalten. Und: Wir dürfen nicht um jeden Preis am Ausstiegsdatum 2030 für die Braunkohle festhalten.

WELT: Selbst wenn das beschlossen würde, könnte es kurzfristig kaum helfen.

Höne: Mittelfristig schon! Und kurzfristig wäre es eine für die Zukunft des Standorts enorm wichtige Botschaft.

WELT: Nämlich?

Die Sorge um Standortattraktivität und Wettbewerbsfähigkeit ist eine der großen Fragen der Zeit, so Henning Höne Quelle: Roberto Pfeil/picture alliance/dpa

Höne: Wir wollen Industrieland und produktiver Standort bleiben! Dieses Signal würde uns Investitionen erhalten.

WELT: Allerdings kauft die Bundesregierung mit der FDP eifrig Fracking-Gas, Kohle und Atomstrom im Ausland. Atomenergie im Inland ist nur noch für Monate zulässig, Fracking kein Thema.

Höne: Die FDP würde gern anders, wenn sie dies allein entscheiden könnte. Das wissen die Bürger.

WELT: Sie könnten die Ampel zum Anlass für eine sozialliberale Wende nehmen. Der Altliberale Gerhart Baum rät der FDP, „die ungleiche Vermögensverteilung im Lande“ aufzugreifen.

Höne: Das Thema Vermögensverteilung wird fast immer aus einer falschen, letztlich neidischen Perspektive diskutiert. Es kann doch nicht darum gehen, denjenigen, die sich etwas aufgebaut haben, möglichst viel wegzunehmen.

WELT: Sondern?

Höne: Diejenigen, die wenig haben, sollen in die Lage versetzt werden, mehr bekommen zu können.

WELT: Woher, wenn es nicht von den Reichsten kommt?

Höne: Unter anderem durch standortfreundliche Politik, die den Wohlstand mehrt und den Kuchen insgesamt vergrößert, anstatt über die zu schimpfen, die das größere Stück vom Kuchen haben.

WELT: Dann haben diejenigen, die wenig vom Kuchen erhalten, immer noch nicht automatisch mehr.

Höne: Die bekommen mehr, wenn ihnen der Aufstieg erleichtert wird. Deshalb ist für uns in NRW Schulpolitik so zentral: Klassen müssen kleiner werden, die Zahl der Lehrer und Sozialarbeiter muss weiter steigen, um Benachteiligten Chancen zu eröffnen.

WELT: Große Vermögen werden aktuell meist vererbt, nicht erarbeitet. Ist es leistungsgerecht, wenn Menschen nicht arbeiten und trotzdem reich sind, weil ihr Erbe so viel abwirft? So fragt Baum.

Höne: Irgendwer hat das Erbe ja erarbeitet und versteuert. Dann ist es auch gerecht, wenn derjenige es seinen Kindern vererbt. Interessanterweise gibt es aber auch in der Strömung der Libertären einige, die Herrn Baum zustimmen würden. Manche Libertäre fordern sogar eine 100-prozentige Erbschaftssteuer.

WELT: Sie beschäftigen sich mit Ideen der radikalliberalen libertären Bewegung?

Höne: Ja, Libertäre gehören im weiteren Sinne auch zur liberalen Bewegung. Es gibt jedoch auch deutliche Unterschiede. Wir Freien Demokraten hinterfragen staatliches Handeln und wollen Eingriffe minimieren, manche Libertäre stellen den Staat gänzlich infrage.

WELT: Sind Steuern, wie Libertäre sagen, letztlich Diebstahl?

Höne: Nein. Aber die Auseinandersetzung mit solchen Positionen ist inspirierend. Immerhin erinnert so ein Slogan daran, dass der Staat sich nimmt, was andere besessen und erarbeitet haben. Das ermahnt dazu, mit Steuergeld stets so sparsam wie möglich umzugehen.

An dieser Stelle finden Sie Inhalte von Drittanbietern Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du hier. Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen. Drittanbieter freigeben

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *